Ein Trend, der viele vor Herausforderungen stellt
Viele Dinge, die in der Theorie recht einfach und unkompliziert klingen, sind es dann aber in der praktischen Umsetzung nicht. Diese simple Wahrheit kennt jeder, der schon einmal ein Möbelstück einer bekannten schwedischen Kaufhauskette aufgebaut hat. Auch wenn die Anleitung noch so simpel erscheint – am Ende hat man statt guter Laune und Freude über ein neues Möbelstück, schlechte Laune und eine Schraube übrig. So ähnlich verhält es sich auch mit einem Wellness-Trend, der aus Holland zu uns herübergeschwappt ist: Niksen. Oder – ganz einfach Nichtstun.
Noch weniger als Wellness
Niksen ist keine Abkürzung oder eine Wortneuschöpfung. Vielmehr ist es schon seit Jahrhunderten in der holländischen Sprache verankert – allerdings bis vor ein paar Jahren noch mit einem negativen Unterton. Wer „nikste“, der war untätig, lebte in den Tag hinein und war damit eher eine Last für die Gesellschaft. Aber im Zuge der Digitalisierung, dem ständigen Abrufbarsein und der Hektik, die wir alle in unseren Alltag erleben, wandelte sich dieses Negativbild in etwas Positives. Nach dem Motto: „Es ist doch ganz schön, mal gar nichts zu tun zu haben.“
Und genau darum geht es bei diesem Trend. Niksen ist dabei aber nicht zu verwechseln mit Wellness. Denn bei Wellness hat man ja etwas zu tun. Man hat ein Programm. Von der Sauna in den Ruheraum, dann noch ein paar Runden schwimmen und abschließend noch eine Massage. Auch ein Wellnesstag ist durchstrukturiert. Wer sich aber für Niksen entscheidet, der hat keine Pläne und muss sich nicht an irgendwelche Vorgaben halten. Wer nikst, macht einfach…nichts.
Nichts tun – schwieriger als man denkt
Klingt einfach, meinen Sie? Probieren Sie es doch mal aus. Setzen Sie sich zum Beispiel auf Ihr Wohnzimmersofa. Fernseher und Radio aus, kein Smartphone, kein Tablet, keine Unterhaltung, keine soziale Interaktion mit anderen. Nichts. Sie sitzen einfach nur da. Vielleicht sehen Sie aus dem Fenster – oder auch nicht. Sie lassen einfach die Gedanken schweifen. Sie können Ihr Bücherregal betrachten, aber verwerfen Sie den Gedanken, es demnächst wieder komplett auszuräumen und zu entstauben. Sie könnten ja dann an Bücher denken, die Sie schon gelesen haben oder noch lesen möchten. Oder Sie denken gar nicht an Bucher. Sie merken schon: Niksen hat keine Regeln, keine Verhaltensmuster. Und genau das scheint es für uns Menschen so außergewöhnlich zu machen.
Man könnte sagen, Niksen bedeutet, das System runterzufahren und nichts, aber auch wirklich gar nichts, Zielgerichtetes zu tun. Eine echte Herausforderung wird es dann, wenn diese Phase nicht nur ein paar Minuten dauert, sondern – wie empfohlen 30 oder sogar 45. Eine Dreiviertelstunde, in der man seine Gedanken schweifen lässt – ohne äußere Einflüsse und ohne Ziel. Warum ist das eine so große Herausforderung? Weil der Mensch genau dafür nicht gemacht ist. Das zumindest meint der US-Psychologe Timothy Wilson der University of Virginia.
Lieber einen Stromstoß bekommen als gar nichts tun
Und genau das hat er in einer Serie von mehreren Experimenten nachgewiesen. In diesen hatten die Probanden die Aufgabe, in einem schmucklosen Raum auf einem Stuhl Platz zu nehmen und 15 Minuten lang nichts zu tun. Alles, was ablenken könnte – also Smartphones oder persönliche Gegenstände – mussten vorher abgegeben werden. Anschließend wurden die Teilnehmer befragt. Es stellte sich heraus, dass sie dieses Nichtstun nicht sonderlich genossen hatten – im Gegenteil. In fast allen Fällen hatte diese Produktivitätslosigkeit ein eher unangenehmes Gefühl ausgelöst. Ein paar Teilnehmern war das so unangenehm, dass sie in den darauffolgenden Durchgängen versuchten, ihr Handy in den Raum zu schmuggeln, um zum Beispiel heimlich Musik zu hören. Damit war die Reihe aber noch nicht beendet. Denn im letzten Experiment ging Wilson noch einen Schritt weiter. Vor dem abschließenden Durchgang hatten alle Probanden die Möglichkeit, sich selbst per Knopfdruck einen Stromstoß zu verpassen. Nach dem Gefühl befragt, gaben sie an, lieber fünf Dollar zahlen zu wollen, als dieses Gefühl noch einmal erfahren zu müssen. Dann wurden sie wieder in den Versuchsraum gebeten. Allerdings diesmal mit der Möglichkeit, sich erneut per Knopfdruck den bereits bekannten Stromstoß zu versetzen, falls sich das negative Gefühl durch das Nichtstun wieder einstelle. Das Ergebnis: Ungefähr 25% der weiblichen und erstaunliche
66 % der männlichen Probanden drückten innerhalb von 15 Minuten mindestens einmal den Knopf, von dem sie wussten, dass sie sich damit einen unangenehmen Schlag verpassen würden. Einfach, weil nichts zu tun sich in diesem Moment noch unangenehmer anfühlte.
Trotzdem – einfach mal versuchen
Die gute Nachricht: Laut Timothy Wilson hat diese Abneigung gegen absolute Untätigkeit nichts mit der modernen Welt und deren Anforderungen an uns zu tun. Niksen stehe viel mehr einfach nicht auf der Agenda unseres genetischen Codes. Entertainment durch Musik, Gespräche mit Mitmenschen oder zumindest spazieren gehen seien eine Art Minimalanforderung für unser Wohlbefinden. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, es trotzdem mal zu versuchen – dieses Nichtstun. Einfach nur spazierendenken…